Der Behandlungszeitpunkt
Da sich das Behandlungsspektrum der modernen Kieferorthopädie durch die Einführung neuer Materialien ständig erweitert, sind heute kieferorthopädische Behandlungen in allen Altersgruppen möglich und sinnvoll.
Erste kieferorthopädische Maßnahmen können bereits ab dem 4. Lebensjahr notwendig werden. Hierbei handelt es sich in der Regel um die Beseitigung des Daumenlutschens, bzw. kann bei vorzeitigem Verlust von Milchzähnen das Offenhalten der entstandenen Lücke notwendig sein. In dieser Phase ist häufig das Mitwirken des Logopäden erforderlich.
Erste apparative kieferorthopädische Behandlungen können ab dem 5. Lebensjahr erfolgen. Diese so genannte Frühbehandlung dient der Beseitigung von Zahnfehlstellungen, die eine normale Entwicklung von Ober- und Unterkiefer gefährden. Hierzu zählen alle Formen des Kreuzbisses. Aber auch ein sehr stark vergrößerter Abstand zwischen den Schneidezähnen oder ein starker Platzmangel können kieferorthopädische Maßnahmen erfordern. Die Frühbehandlung ist zeitlich auf 1 ½ Jahre beschränkt. Es kommen in der Regel herausnehmbare Apparaturen zum Einsatz.
Schwere Kieferanomalien, wie Lippen-Kiefer-Gaumen-Segel-Spalten, offener Biss, Progenien oder verletzungsbedingte Kieferfehlstellungen werden ebenfalls sehr frühzeitig behandelt. Anders als bei der Frühbehandlung gibt es keine strenge zeitliche Begrenzung. Zur Behandlung werden sowohl herausnehmbare, als auch festsitzende kieferorthopädische Apparaturen eingesetzt.
Die überwiegende Mehrheit aller kieferorthopädischen Behandlungen beginnt im späten Wechselgebiss, das heißt in der zweiten Phase des Zahnwechsels, etwa im Alter von 9-10 Jahren. Durch den behandelnden Kieferorthopäden erfolgt anhand des kieferorthopädischen Indikationsgruppen-Systems (KIG) die Zuordnung der vorliegenden Zahnfehlstellung zur vertragszahnärztlichen Behandlung (Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenkasse)oder aber die Ausgrenzung zur Privatbehandlung. Letzteres kann bei vorwiegend kosmetischen Korrekturen der Fall sein. In Abhängigkeit von den notwendigen kieferorthopädischen Maßnahmen wird entschieden, ob herausnehmbare oder festsitzende Apparaturen eingesetzt werden. Im Normalfall erfolgt der Abschluss der kieferorthopädischen Behandlung mit dem Durchbruch aller bleibenden Zähne.
Zunehmende Bedeutung erlangt die kieferorthopädische Behandlung erwachsener Patienten. Durch den Einsatz moderner Therapiemittel, wie z.B. superelastischer Bögen oder aber ästhetisch ansprechender Apparaturen wie der Lingualtechnik, zahnfarbener Brackets oder elastischer Schienen (Aligner ), ist es heute möglich, immer mehr erwachsenen Patienten ein maßgeschneidertes Therapiekonzept zu erstellen. Dies kann unter anderem notwendig werden, wenn im Rahmen von Zahnfleischerkrankungen entstandene Lücken geschlossen werden sollen, oder verlängerte Zähne wieder in den Knochen hinein zubewegen sind. Aber auch die Aufrichtung stark gekippter Zähne oder eine Lückenöffnung ist ein Aufgabengebiet der Kieferorthopädie. In vielen Fällen kann hiermit eine geplante prothetische Versorgung deutlich erleichtert werden.
Nicht zu vergessen sind erwachsene Patienten mit Kiefergelenksproblemen, deren Therapie ggf. eine Korrektur der Zahnstellung erfordert, wie dies häufig bei steilstehenden Schneidezähnen der Fall ist.
Im Interesse der gemeinsamen Patienten und eines optimalen Behandlungsablaufes ist bei jeder kieferorthopädischen Therapie eine enge Zusammenarbeit zwischen behandelndem Zahnarzt und Kieferorthopäden notwendig. Dies betrifft eventuell notwendige Füllungstherapien oder Extraktionen von Zähnen. Eine besondere Herausforderung stellt in diesem Zusammenhang die Erwachsenenbehandlung dar. Hier ist neben einer guten Abstimmung der notwendigen Behandlungsschritte auch häufig eine begleitende parodontale Therapie indiziert.